Festversammlung 2022
Die Festrede des Präsidenten im Wortlaut
Hochansehnliche Festversammlung!
In diesen Tagen vor 250 Jahren verdichtete sich die Verbindung zwischen Erfurt und Weimar dank schon bald von Erfolg gekrönten Verhandlungen. Christoph Martin Wielands Anstellungsdekret, unterzeichnet von Weimars regierender Herzogin Anna Amalia, ist datiert auf den 28. August 1772. Im darauf folgenden Monat zog Wieland, Gründungsmitglied unserer Akademie und seit 1769 Professor primarius philosophiae an der Universität Erfurt, um nach Weimar. Hier begründete er in den drei Jahren als Instruktor des Erbprinzen Carl August, bis dieser am 3. September 1775, volljährig geworden, die Regierungsgeschäfte übernahm, über seine literarischen Leistungen hinaus in Publizistik, dem „Teutschen Merkur“, und Musiktheater, vor allem der Reformoper „Alceste“, einen Aufstieg Weimars ohnegleichen. Ohne ihn wäre das Herzogtum nicht das, was es geworden ist. Gerade wenn wir über Disziplingrenzen hinausblicken, erkennen wir von heute aus umso deutlicher, zu welcher Wertschöpfung die aus dem Geiste der Aufklärung heraus wirkenden Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts imstande waren. Von jener weltliterarischen, weltbürgerlichen, weltkulturellen Urbanisierung der Provinz zehren wir trotz der Unterbrechungen bis heute.
Mit diesem von Erfurt hinüber nach Weimar und zurück schweifenden Blick heiße ich Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, Akademiemitglieder und Gäste, hier und heute ganz besonders herzlich willkommen. Vor einem Jahr, noch eingeschränkt, durfte ich jubeln: wir haben einen Impfstoff. Inzwischen immer noch nicht post coronam, aber immerhin mit vorsichtigen Lockerungen, können wir uns, nachdem wir mannigfaltige Begrenzungen der Virtualität erfahren haben, wieder begegnen. Herzlich also willkommen! Besonders begrüßen möchte ich Herrn Dr. Tobias Knoblich, Beigeordneten der Landeshauptstadt Erfurt für Kultur und Stadtentwicklung, dem ich für sein Grußwort herzlich danke. Die stets lebhafte Verbindung der Landeshauptstadt mit ihrer Akademie besteht nun schon jahrelang auch in dem von ihm geleiteten Arbeitskreis Erinnerungskultur. Außerdem weiß ich unser Anliegen, einen Sitzort für die Akademie zu finden, weil eine Generalsanierung der bisherigen Liegenschaft Ende des kommenden Jahres ansteht, bei ihm in guten Händen. Sie lassen uns nicht im Regen stehen. Auch dafür herzlichen Dank! Erfreut bin ich über die Teilnahme von Professor Jörn Henning Wolf als Vertreter unserer Hamburger Schwesterakademie, die mit dem Klimaexperten Professor Mojib Latif einen neuen Präsidenten hat. Außerdem begrüße ich unsere beiden Festredner Professor Keppler aus Wien und Professor Costadura aus Weimar, die uns – wie immer transdisziplinär – mitnehmen werden in die Welt körperlicher Gesundheit und die Vermittlung literarischen Übersetzens. Darüber hinaus gilt mein herzliches Willkommen Ihnen, den Mitgliedern und Neumitgliedern, Ihren Angehörigen und Gästen, auch schon einmal dem heutigen Preisträger Dr. Ulrich Schneider, dem wir den Dalbergpreis des vergangenen Jahres verleihen dürfen. Zudem gilt unser Dank Ludwig van Beethoven und Frédéric Chopin sowie ihrem Interpreten Andrey Zenin von der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar. Mehr noch als im vergangenen Jahr sind wir nun von einer Wiederbelebung der akademischen Gespräche beseelt.
Doch sind wir schmerzlich durch den Tod von uns gegangener Mitglieder berührt. Wir wollen unsere Toten ehren!
Am 23. Juli 2021 verstarb der Mathematiker Klaus-W. Roggenkamp, Jg. 1940, der seit 1993 Mitglied der Akademie ist.
Anfang August erreichte mich die Nachricht vom Sohn Dr. Michael Köhler, daß unser Ehrenpräsident Werner Köhler, Jg. 1929, am 2. August 2021 in Freiburg im 92. Lebensjahr „friedlich entschlafen“ ist. Zwei Tage später bekam ich die letzte Post des Verstorbenen mit Gedenkartikeln für zu ehrende Akademiemitglieder. In Ergänzung meines Nekrologs auf den 12. Präsidenten dieser Akademie, den ersten, der von der ersten Stunde an nach der friedlichen Revolution zusammen mit dem Generalsekretar Jürgen Kiefer und dem Senat die Geschicke dieser Akademie geleitet hat, will ich damit nur andeuten: bis zuletzt war Werner Köhler im Dienste dieser seiner Akademie tätig – Präsident von 1991 bis 2010 und dann als Ehrenpräsident weiter im Senat. Seine unermüdliche, auch die Akademie strukturierende Unterstützung ist dem Senat in lebhafter Erinnerung. Ich persönlich vermisse die unsere Arbeit begleitenden Gespräche und seine substantiellen Ratschläge sehr. Darüber bleibt der Mikrobiologe und Streptokokkenforscher, Epidemiologe und Bakteriologe, Vizepräsident der Leopoldina 1990-2000, unvergessen. Eine besondere Würdigung steht freilich aus.
Am 8. Oktober 2021 verstarb in Köln die Historikerin Anna-Dorothee von den Brincken, Jg. 1932, die seit 1998 Mitglied der Akademie ist.
Am 16. November 2021 verstarb der Toxikologe und Doping-Spezialist Rudhard Klaus Müller, Jg. 1936, von der Universität Leipzig, der seit 1993 Mitglied der Akademie ist.
Und am 20. Februar 2022 verstarb der Vertreter der Theoretischen Physik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Ernst Schmutzer, Jg. 1930, deren erster Rektor er nach der friedlichen Revolution 1990 bis 1993 war. Der aus Anlaß seines 90. Geburtstages geplanten Feier, die coronabedingt verschoben werden mußte, ist er so zuvorgekommen. Mitglied der Akademie ist er seit Wiederaufnahme der Arbeit von 1990 an.
Unseren verstorbenen Mitgliedern wollen wir ein sie ehrendes Andenken bewahren! Sie haben sich zu Ehren der Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Am Anfang meines Berichts wiederhole ich das bereits im vergangenen Jahr vorgebrachte dringende, auch statutengemäße Postulat. Die Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt braucht eine Wiederbesetzung des Generalsekretariats. Und sie braucht einen jüngeren und auch digitalen Präsidenten. Seit dem Tod des Ehrenpräsidenten und Senators Werner Köhler ist ein Sitz im Senat vakant. Die wirkungsvolle Mitarbeit von Senatorin Christiane Wiesenfeldt im Senat wurde im September 2021 um eine weitere fünfjährige Wahlperiode verlängert. Im Mai 2022 standen weitere sechs Senatorenwahlen an. Davon wurden mit ihrer Zustimmung die Senatoren Peter Scharff, Angelika Geyer, Werner E. G. Müller und Josef Pilvousek einstimmig verlängert. Die Senatoren Kai Brodersen und Klaus Zimmermann dagegen traten von ihren Ämtern zurück, was der Senat mit großem Bedauern auf- und angenommen hat. Für Herrn Brodersen von der Universität Erfurt waren auf ihn zukommende Neubelastungen in der universitären Lehre ausschlaggebend, für Herrn Zimmermann von der TU Ilmenau familiäre Fürsorge. Präsidium und Senat haben die vielseitige und konstruktive Mitarbeit beider Kollegen außerordentlich geschätzt. Mir persönlich war die bedenkenvolle Begleitung von strukturellen, statutengemäßen und die Erneuerung der Wissenschaftsakademie betreffenden Fragen besonders wertvoll, wofür ich mich mit dem Senat in Dankbarkeit gegenüber Herrn Brodersen und Herrn Zimmermann verbunden weiß. Mit ihrem Ausscheiden sind somit seit dem 20. Mai erstmals drei Senatorenstellen vakant, die wiederzubesetzen ein dringliches Anliegen ist.
Aus Ihren Mitgliederbescheinigungen für das vergangene Jahr konnten Sie erkennen, daß – wie übrigens die Dalberg-Stiftung im vorletzten Jahr 2020 – auch die Akademie im vergangenen Jahr 2021 auf der Grundlage ihrer Steuererklärung den Freistellungsbescheid vom Finanzamt Erfurt erhalten hat. Allerdings höre ich von Herrn Mathias Brösicke, dem Leiter des Präsidialbüros, daß es mit den Mitgliederbeiträgen hapert. Ich möchte Sie hiermit daran erinnern. Präsidium und Senat arbeiten ehrenamtlich. Aber besonders wenn die durch die Corona-Pandemie teilweise gelähmte Arbeit der Akademie wiederauflebt und an neuer Dynamik gewinnt, sind wir auf jede Unterstützung auch verstärkt wieder angewiesen.
Nach unserer ersten virtuellen Klassensitzung am 26. März 2021 und der Festsitzung am 10. Juli 2021 in eingeschränkter Präsenz luden wir ein zur hybriden Klassensitzung am 22. Oktober 2021 in die Erfurter Kleine Synagoge, wo in der Geisteswissenschaftlichen Klasse vortrugen Senator Josef Pilvousek, Erfurt: „Nun habt Mut! Bistum sind wir! Jetzt wirdʾs gut!“ Mitteldeutsche Bistumsgründungen nach der deutschen Wiedervereinigung, sowie Walther Ludwig, Hamburg: Habent sua fata libelli. Gewaltsame und verordnete Buchverluste und –gewinne im Dreißigjährigen Krieg und um 1800 mit ihren Folgen, und Kollege Nikolaus Osterrieder, Berlin: Covid 19 – Kein Ende ohne moderne Impfstoffe, in der Naturwissenschaftlichen Klasse.
In der hybriden Frühjahrsklassensitzung am 25. März 2022, zu der ich die Teilnehmer gleichfalls wieder in Präsenz begrüßen durfte, trugen die Kollegen Reinhard J. Boerner, Quakenbrück, vor: Friedrich Hölderlin (1770-1843) und seine psychische Krankheit – Fakten und Mythen im Kontext der geschichtlichen und zeitgenössischen Rezeption, sowie Petra Gentz-Werner, Berlin: Das Ganze denken. Zu Alexander von Humboldts Kosmos, in der Geisteswissenschaftlichen Klasse, und Kollege Mathias Pletz, Jena: Covid 19: Pathophysiologie, Therapie und Impfungen, in der Naturwissenschaftlichen Klasse. Einem Vorschlag von Senator Klaus Zimmermann folgend, Veranstaltungen mit Ehrungen oder thematisch zu bündeln, widmeten wir diese Veranstaltung aus Anlaß ihres achtzigsten Geburtstages unserer hochverdienten Projektkommissionsleiterin Ingrid Kästner, die mit den zwanzig Tagungen der „Europäischen Wissenschaftsbeziehungen“ in den vergangenen bald fünfzehn Jahren die Gemeinnützigkeit, die unsere Societät auf der Stirn trägt, zu befördern und europaweit zu verbreiten half – wiederholt in Erfurt, zweimal auf Schloß Hundisburg, in Berlin, zweimal in Padua und dreimal in Wien. In der Regel lagen die ergebnissichernden Bände bei den jeweils nächstfolgenden Tagungen schon vor. Für dieses unvergleichliche Engagement, verehrte Frau Kästner, auch von hier aus nochmals allerherzlichsten Dank!
Damit kann ich überleiten zu einem Höhepunkt dieses Jahres, der zwar einerseits nichts anderes war als die 21. Tagung der „Europäischen Wissenschaftsbeziehungen“, aber anderseits doch endlich auch am 12. und 13. Mai 2022 das zweimal verschobene Jubiläumssymposium aus Anlaß von Johann Bartholomäus Trommsdorffs 250. Geburtstag am 8. Mai 2020 nachholte – und das nun, den Verschiebungen sei dank, wieder in Präsenz im Erfurter Rathausfestsaal. Tagungsleitung und Organisation lagen in den Händen von Ingrid Kästner und Christoph Friedrich sowie von Vizepräsident Frank Hellwig. Und wie ich höre, ist auch dieser Tagungsband schon weit gediehen und könnte noch in diesem Jahr erscheinen. Daß aus Anlaß dieses Jubiläumssymposiums unser Mitglied Gisela Trommsdorff eine Verlängerung der Ende 2020 eröffneten Ausstellung zum Jubilar im Erfurter Stadtmuseum erreichte, durch die der Oberkurator Hardy Eidam am ersten Tagungsabend führte, setzte einschließlich des anschließenden Empfangs diesem Jubiläumsereignis die Krone auf. Die Resonanz unter den Teilnehmern, darunter etliche der Nachfahren Trommsdorffs, war groß. Wo sich Vergangenheit und Gegenwart so berühren wie beim Gedenken an den „Vater der wissenschaftlichen Pharmazie“, entstehen Höhepunkte im Leben einer Akademie. In diesem Falle war der Auslöser ein Jubiläum. Aber ich füge gern hinzu: eine Akademie steckt so voller Erinnerungen, die in der Gegenwart fruchtbar gemacht werden können, daß ihr akademisches Leben keineswegs auf Jubiläen begrenzt bleiben muß.
Die Pandemie hat neue Formate begünstigt und durch die virtuellen Veranstaltungen, wie sie Vizepräsident Vielberg auch für den Senat genutzt hat, die Verständigung nicht abreißen lassen. Im vergangenen Jahr konnte ich schon ankündigen, daß das 1. Erfurter Akademiegespräch, das die Senatoren Wolfram Eberbach, Werner E. G. Müller und Peter Scharff zum Thema „Corona“ veranstaltet haben, im Netz abzurufen sei. Inzwischen ist auch das 2. Erfurter Akademiegespräch, gleichfalls von den Senatoren Wolfram Eberbach und Peter Scharff veranstaltet, unter dem Thema „Ärztlich assistierter Suizid?“ im Netz abzurufen. Für diese neuartigen Ergänzungen unseres Wirkens sind wir Ihnen außerordentlich dankbar.
Damit komme ich zu den Publikationen. Während das akademische Jahrbuch immer noch seiner Fortsetzung harrt, hat Vizepräsident Meinolf Vielberg die Sitzungsberichte 11 der Geisteswissenschaftlichen Klasse mit den Beiträgen der Klassensitzungen 2018-2019 herausgegeben, erschienen Erfurt 2921 und Anfang 2022 ausgeliefert. Die Beiträge zur Tagung des deutsch-russischen Arbeitskreises am 16./17. April 2018 an der Lomonossov-Universität Moskau erschienen unter dem Titel: Deutsche Kultur in russischen Buch- und Handschriftenbeständen, hg. von Natalija Ganina, Daniel Könitz, Catherine Squires und Jürgen Wolf als Sonderschrift der Akademie 52 in Erfurt 2022, zugleich 5. Band der von Rudolf Bentzinger herausgegebenen Deutsch-russischen Forschungen zur Buchgeschichte. Kürzlich ausgeliefert wurden die Acta Academiae Scientiarum, Band 20, hg. von Altvizepräsident Hans-Peter Klöcking, die dem 17. Mensch-Umwelt-Symposium vom 9. Juli 2021 gewidmet sind und die Beiträge zum Thema: Gesundheitliche Auswirkungen des Klimawandels enthalten, erschienen Erfurt 2022. Im Druck befindet sich Supplementband 4 der „Europäischen Wissenschaftsbeziehungen“: Geschichte der Universitäts-Frauenklinik Königsberg 1793-1945 von Andreas D. Ebert, Düren voraussichtlich 2022, der von der Stiftung Königsberg gefördert wird. Und außerdem ist, wie erwähnt, gleichfalls noch in diesem Jahr zu erwarten die Ergebnissicherung des Trommsdorff-Jubiläumssymposiums, die für den Band 21 der „Europäischen Wissenschaftsbeziehungen“ die Leiterin der Projektkommission Ingrid Kästner entschieden vorantreibt. Großer Dank ist Ihnen dafür sicher.
Die beiden Preise der Akademie, der Dalberg-Preis 2022 und der Reichart-Preis 2022, sind in der Ausschreibung. Die im vergangenen Jahr nicht zustandegekommene Verleihung des Dalberg-Preises 2021, die turnusgemäß an der Hochschule für Musik FRANZ LISZT hätte stattfinden sollen, holen wir heute nach, wobei der Leiter der Preisfindungskommission, Vizepräsident Meinolf Vielberg, gemäß der Absprache den Preis in Vertretung der Hochschule und, da coronaerkrankt, in seiner Vertretung Vizepräsident Frank Hellwig, mitverleiht. Er geht, wie schon angedeutet, an Dr. Ulrich Schneider, den ich mit seiner Begleitung nochmals herzlich willkommen heiße.
Neben dem neuen Format der Erfurter Akademiegespräche, die zwei- bis dreimal im Jahr weitergeführt werden sollen – da sind wir bei allem Aufwand organisatorisch und technisch noch in der Planung, weil sie ja wie die beiden ersten genannten virtuell abrufbar bleiben sollen, – neben diesem Format also erproben wir am 14. September 2022 – dem Geburtstag von Alexander von Humboldt – erstmals etwas, aus dem gleichfalls eine verheißungsvolle Reihe hervorgehen kann. Unter dem Oberthema „Geist trifft Genuß“ soll die jüngere Generation in Schule und Hochschule angesprochen werden, indem aus unterschiedlichen Fachrichtungen in akademischer Vielfalt ein Thema betont lustvoll, attraktiv sinnlich und mit beschwingter Leichtigkeit vermittelt werden soll. Dafür hat Kollegin Petra Gentz-Werner die Stadt in Person von Bürgermeisterin Anke Hofmann-Domke gewonnen, die durch Vorbereitungen in Schule und Volkshochschule sowie touristisch mit von der Partie sein wird. Die Koordination läuft pandemiebedingt leicht verzögert seit Anfang des Jahres und widmet sich unter dem Arbeitstitel „Schokoladenfestival“ den Glücksgefühlen, den die seit Einfuhr des Kakaos in Europa rasant heimisch gewordene Schokolade auslöst, sowie einigen Aspekten in Botanik, Psychologie, Kunst, Technik und Wissenschaft. Das Thema soll zwischen Geist und Genuß oszillieren. Das im öffentlichen Raum inter- und transdisziplinär an Jüngere auch praktisch und anschaulich zu vermitteln, fordert uns selbstverständlich heraus. Seien Sie gespannt und folgen Sie unserer Einladung ins Angermuseum „auf eine Schokolade“! Trommsdorff engagierte sich übrigens um 1830 gegen die Cholera in Erfurt. Ich kann nicht erkennen, ob er zu jener Zeit schon Kenntnis von der Cholera-Schokolade aus Dresden hatte. Vermutlich hätte er reagiert wie angesichts der magnetischen Pillen, da er spottete, das einzig Magnetische daran sei die Anziehungskraft auf Dukaten. Das wäre wohl heute bei Corona-Schokolade nicht anders.
An Nachrichten möchte ich gern übermitteln: Mitglied Prof. em. Dr. Dr. h. c. Eckart Otto, Ludwig-Maximilians-Universität München, ist im letzten September in die Europäische Akademie der Wissenschaften und Künste in Salzburg gewählt worden. Und der Theologe und Patristiker Prof. Dr. Christoph Markschies, vormals Präsident der Humboldt-Universität Berlin und dann Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, ist neuer Präsident der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften. Als erste unter den Akademien hat den damaligen Kirchenhistoriker an der Universität Jena 1996 die Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt zugewählt. Und am 23. April 2022 hat die Philosophische Fakultät der Universität Erfurt zu einer Gedenkveranstaltung „Zum 100. Geburtstag von Prof. Dr. Dr. Annemarie Schimmel“ eingeladen, die am 7. April 1922 in Erfurt geboren ist und im ersten Jahr nach Wiederaufnahme der Arbeit vor über dreißig Jahren in die Erfurter Akademie zugewählt wurde. Am 26. Januar 2003 ist die berühmte Vertreterin der Orientalistik, Religionswissenschaft, Arabistik und Islamkunde, deren Vorträge in der Akademie unvergessen sind, in Bonn gestorben.
Zum Schluß folge ein wenig Zukunftsmusik. Präsidium und Senat haben in den vergangenen dreieinhalb Jahren gerade auch unter Coronabedingungen vielerlei Schwierigkeiten gemeistert. Das ist besonders deshalb bemerkenswert, weil mit dem Tod des Generalsekretars Jürgen Kiefer der Herzschlag der Akademie und der Dalberg-Stiftung aussetzte. Das bedeutete übergangslos und aus dem Stand die Einarbeitung und Weiterführung des akademischen Lebens. Was zu tun war, war in Grundzügen klar – aber wie? Das sollte, zudem unter erschwerten äußeren Bedingungen, kein ganz leichter Weg sein. Das ist jetzt nicht im einzelnen nachzuzeichnen, vor allem schon deshalb nicht, weil sich im vergangenen Winter ein Glücksmoment einstellte. Der jahrelange Förderer insbesondere des Dalberg-Preises, Dipl.-Ing. Klaus Dippel mit der Stiftung Qui es, hat im vergangenen Jahrzehnt die von Carl von Dalberg als Würzburger Dompropst 1793 umgebaute Propstei Wechterswinkel in der Rhön nahe Mellrichstadt erworben und saniert. Dieser ideale, angenehme Tagungsort sollte gemäß dem gemeinnützigen Stiftungszweck passende Projekte unterstützen. Das führte zu einer Einladung des Senats, der aufgrund dieser Einladung sich am 21./22. Januar 2022 dort zu einer Klausursitzung zusammenfand – ein Glücksmoment. Die dort zu spürende Atmosphäre sei Ihnen allen empfohlen. Die Propstei steht Ihnen offen.
Der Senat nutzte die Gelegenheit zur Aussprache über Grundfragen der Akademie, ihre Etatisierung, ihre Bibliothek und Pressearbeit, die Organisation der Akademie, ihre disziplinäre Ausrichtung und die innere Kommunikation in der Akademie sowie die Standortfrage. Zudem wurde deutlich, daß die Dalberg-Stiftung ihr Statut mit dem ab 2023 geltenden neuen Stiftungsrecht abgleichen muß. Jene Januartage waren vergleichsweise mild, aber erfrischend. Der Senat hat sie so beglückt aufgenommen, daß er sich umgehend auf den 18./19. November 2022 erneut an diesem inspirierenden Ort verabredet hat. Die Ansätze zur Erneuerung der jetzt ein Dritteljahrhundert wieder arbeitenden Akademie, ihrer Verjüngung, ihrer Selbstorganisation sind erfreulich wahrzunehmen. Der dreizehnte Präsident kann sich im Laufe des dreizehnten Jahres seiner Präsidentschaft zurückziehen, wenn die Felder bestellt sind. Es bestand allergrößte Einigkeit in dem Anliegen, die drittälteste Wissenschaftsakademie attraktiv und sichtbar zu erhalten sowie ihre Außenwirkung zu steigern. Die akademische Freiheit bietet uns viele Möglichkeiten. Vor allem wenn wir auf Etatfragen blicken, hören wir von drei Prozent Aufwuchs in der Förderung der akademischen Projektforschung. In Wirklichkeit ist das angesichts von Lohnentwicklung und Inflation eine Kürzung. Wir sollten daraus eine Stärkung unserer unter Vereinsvorzeichen laufenden selbständigen Arbeit ablesen. Und noch ein Gedanke in den mehr als nur anregenden Klausurgesprächen hat mich erfreut. Wie lassen sich die institutionellen Zusammenkünfte der Klassen, Kommissionen oder Gremien noch stärker mit Geselligkeit, d. h. dem geselligen Gespräch über fachliche und institutionelle Grenzen hinweg, verbinden? Denn angesichts immer mächtiger sich bemerkbar machender Fachisolation und zugleich überhandnehmender Bürokratie, von digitaler Bevormundung gar nicht zu reden, scheint mir das Bedürfnis nach Austausch, Gespräch und Begegnung deutlich zu wachsen. Ob in Platons Akademie, in der Stoa oder im Peripatos, ob analog oder digital oder wie immer: „ein Gespräch wir sind“, heißt es bei Hölderlin. Wir sind auf Erkennen, Verstehen und das dazugehörende Gespräch angewiesen, wozu institutionell nichts so vorteilhaft ermuntert wie das transdisziplinäre Wissenschaftsprofil einer Akademie. Genießen wir das!
Erfurt, den 25. Juni 2022
Klaus Manger